ZwischenZeitZentrale Bremen

Der Maßvolle

Eintrag von am 05.01.2011

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Der grüne Umwelt- und Verkehrssenator will in Bremen den Wachstumswahnsinn dämpfen VON PETRA PINZLER

Verkehrssenator Reinhard Loske zieht am Stoff, die Kameras klicken. »Fahrradfreundlicher Betrieb« steht auf dem nun frisch enthüllten Blechschild. Loske lächelt die Fotografen an, schaut hinüber zur Weser, wo rechts und links der Fahrrinne das Eis gefriert. Schnell weg, rein ins Büro der Hafengesellschaft, die er gerade ausgezeichnet hat, in der Wärme redet es sich leichter: über das kleine Schild und dessen riesige Bedeutung. Für Deutschlands Zukunft. 

Für Reinhard Loske setzt sich die Zukunft der Republik wie ein Puzzle zusammen, aus vielen tausend Teilen, an dem unzählige Leute basteln. Wenn es fertig ist, hat Deutschland es geschafft. Dann wird es ein Land sein, das Umwelt und Klima schont, den Süden weniger ausbeutet als früher und nicht mehr über seine Verhältnisse lebt. 

Loske ist aber kein Traumtänzer. Nichts wäre ihm fremder als romantische Ökospinnerei und Blütenträume vom Paradies im Diesseits. Im Gegenteil, der Mann weiß ziemlich genau, was in der Republik möglich ist und was nötig wäre. Bevor Loske 2007 zum Bremer Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa wurde, war er grüner Bundestagsabgeordneter, hatte es in der Fraktion bis an die Spitze gebracht und in der Zeit von Rot-Grün wichtige Umweltgesetze mitgeschrieben. Er hatte als Wissenschaftler am Wuppertal Institut gearbeitet und in den neunziger Jahren eine Studie über das »zukunftsfähige Deutschland« miterarbeitet, die recht bekannt wurde. Die Auftraggeber, die kirchliche Entwicklungsorganisation Misereor und die Naturschützer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, verbreiteten die Ergebnisse in Kirchengemeinden und Umweltgruppen. Vielen Deutschen wurde so zum ersten Mal klar, wie zerstörerisch unsere Wirtschaftsweise ist.

Auf 64 Seiten hat er seine »Politik der Mäßigung« skizziert 

Heute propagiert Loske, im Großen, den Abschied vom Wachstum an sich. »Immer mehr. Immer schneller. Immer weiter so.« funktioniere nicht. Es mache die Umwelt kaputt und zerstöre unsere Ressourcen. In einem kleinen, grünen Büchlein hat er aufgeschrieben, wie es seiner Meinung nach anders gehen könnte. Auf 64 Seiten skizziert er seine »Politik der Mäßigung«. In Bremen dagegen wirkt Loske im Kleineren. Er schaut, was sich von diesen hehren Zielen wirklich umsetzen lässt. Er probiert, was geht.

An einem der ersten eisigen Dezembertage lädt der Senator zur Rundfahrt durch Bremen. Er zeigt auf die vielen Fahrradfahrer (mehr als in allen anderen deutschen Städten), er erklärt das preisgekrönte Car-Sharing-Angebot der Region und die Verkehrsberuhigung. Er stoppt, bevor es langweilig wird, im ehemaligen Bremer Freihafen. Das Gelände, das die Stadt einst reich gemacht hat, verfiel in den vergangenen Jahrzehnten, nun aber herrscht hier wieder Aufbruchstimmung. Designer, Fotografen und andere Freiberufler lieben die alten Backsteinhallen und wohl auch das Gefühl, zwischen den letzten übrig gebliebenen Arbeitern zu schuften. 

In einer alten Backsteinhalle warten zwei Architektinnen. Vorbei an alten Geländern, Türgriffen und einem currygelben Klo führen sie den Senator ins Büro ihrer Bauteilebörse. Kaffee gibt es aus der Thermoskanne, dazu frische Hörnchen und erklärende Worte: »Wir nehmen alles, was beim Abbruch oder der Renovierung übrig bleibt: Fenster, Rahmen, Türen - und zwar nicht nur die schicken antiken Teile. Alles, was wieder verwertet werden kann«, erklärt Andrea Weis. Ihr großes Vorbild sind ähnliche Einrichtungen in den Niederlanden und der Schweiz. Bei den Eidgenossen ist sogar gesetzlich geregelt, dass beim Abriss eines Hauses fast alles wieder benutzt wird. Das will sie für Deutschland auch. Und dann sagt sie etwas, was man in Bremen häufiger hören kann: »Wir müssen politisch weiterkommen.« 

Politik und alte Fenster: Für Reinhard Loske ergibt das einen Sinn. Eine Gesellschaft, die ihre Ressourcen schonen wolle, müsse viel mehr Altes wieder benutzen - und zwar nicht nur die schicken Dinge. Das sei theoretisch zwar vielen längst klar und fast banal. Nur geschehe es immer noch zu selten, teils aus Bequemlichkeit, teils aus Denkfaulheit und oft, weil die Leute Gebrauchtes eben doch zu schmuddelig fänden. Die Bauteilebörse findet trotzdem zunehmend Kunden. Manchen mangelt es an Geld. Manche kaufen, weil sie, tatsächlich, über die Klimabilanz der Kloschüssel nachdenken. Denn von der Energie für Produktion von Badewanne, Waschbecken und Ablage kann ein Singlehaushalt vier Monate leben: Auch das lernt man hier.

Kann sie so banal sein, die Politik der Mäßigung? Ja und nein - lautet die Antwort von Loske: ja, weil Politik eben auch aus vielen kleinen Initiativen bestehe. Und nein, weil es zusätzlich die großen, unterstützenden Strategien brauche. Für ihn bestehen diese aus einer »Effizienzstrategie« und einer »Suffizienzkultur«. Beide gehörten zusammen: das sparsamere Umgehen mit den Rohstoffen, wie es die Bremer Börse fördere. Dann aber auch eine andere Kultur. Die sei viel komplizierter zu erreichen. Bislang nämlich bekämen die Bürger zu viele widersprüchliche Signale. Da sollen sie, um die Umwelt zu schonen, dem Konsumterror entsagen. Zugleich aber signalisiere jede Fußgängerzone: Wer dazugehören will, muss kaufen, kaufen, kaufen. Die Lösung könne nicht nur individuell gefunden werden.
Auch die Politiker müssten sich ändern und die Kommerzialisierung des Lebens zurückdrängen, Wirtschaftsprozesse regionalisieren. Sozial-ökologische Innovationen anregen, andere Arbeitszeitmodelle fördern, öffentliche Güter pflegen.

Er ist kein gewinnender Vereinfacher, sondern ein eher kühler Analytiker 

Bevor es zu theoretisch wird, bittet Loske zum nächsten Lokaltermin. Wieder im Hafen. Ganz am Rand der Hallen liegt das ehemalige Zollamt, ein Fünfziger-Jahre-Bau mit einer imposant überdachten Rampe. Hier wurde früher die Ladung der Laster inspiziert und die Papiere. In einem der Büros warten drei junge Männer in Cordhosen und dicken Pullis, einer mit schwarzer Pudelmütze. »ZZZ« oder »Zwischennutzungszentrale« nennen sie sich. Sie sind die Wohlfühl-Version des Immobilienmaklers.

ZZZ vermittelt im Auftrag der Stadt Räume und Flächen. Dabei geht es nicht um Rendite, die Architekten sollen eher dafür sorgen, dass Leben in die Stadt kommt. Sie vermieten oft nur kurzfristig, an Künstler, Initiativen und Projekte, helfen sogar beim Suchen von Geldgebern. 

Eines ihrer Vorzeigeprojekte ist die Plantage 9, eine alte Brandschutzfirma mit 30 Untermietern, zu denen eine Fahrradwerkstatt zählt und ein Caterer für Veganer. Ein altes Haus haben sie für eine temporäre Ausstellung und eine große Fläche für Kunst-Events und Partys vermietet. Für Loske ist auch das ein Beispiel für das andere Umgehen miteinander und mit den Dingen: »Wir wollen in Bremen Raum für kreative Menschen - egal ob daraus ein Geschäft entsteht.«

Nicht neu bauen! Altes nutzen! Gemeinsam etwas tun statt etwas kaufen! Solche Postulate sind weder neu noch revolutionär. Interessant ist aber, wie Loske sie verbindet - und in ein Konzept für eine andere Wirtschaftspolitik einbaut. Dass die große Politik davon nur wenig hält, das weiß er indes schon länger, und es ärgert ihn immer wieder neu. Denn bevor der 51-Jährige in Bremen zum Senator wurde, wollte er für mehr Wandel schon aus Berlin sorgen. Anders als viele seiner Kollegen in der grünen Bundestagsfraktion kämpfte er schon als Abgeordneter gegen die bequeme Hoffnung, dass die Welt allein durch grünes Wachstum wieder in Ordnung komme. Doch Loske scheiterte. 

Das lag sicher auch daran, dass er kein gewinnender Vereinfacher ist. Und auch heißes Werben mit Gefühl und Emphase liegt ihm wenig. Eher lässt der blitzgescheite Analytiker durchscheinen, dass er es einfach besser weiß. Doch er hatte damals wohl auch unterschätzt, wie sehr viele Partei freunde sich fürchten, durch Grundsatzdebatten über das System wieder als Verweigerer dazustehen - ein Trauma, das die Partei verfolgt, seit sie einst fünf Mark pro Liter Benzin gefordert hatte. Am Ende ging Loske.

Und nun findet er Verbündete, wo sie keiner erwarten würde. In Bremerhaven im alten Fischereihafen bei der Firma Meereskost beispielsweise: Der Chef Thomas Beyer hat hier vor einem Jahr eine neue Verarbeitungshalle eröffnet. »Die erste, die hier in den letzten zwanzig Jahren gebaut worden ist«, sagt er und bebt fast vor Stolz. Tatsächlich
ist sein Bauwerk etwas ganz Besonderes. Es erzeugt die Energie für die Kühlhallen zu sechzig Prozent selbst. In allen Arbeitsräumen scheint Tageslicht, in den Fischverarbeitungshallen wärmt die Fußbodenheizung. Die Klimaanlage wird mit Wasser aus dem Boden betrieben. Und Folien auf den vielen Fenstern sorgen dafür, dass es überall hell, aber nirgends zu heiß ist.

Beyer will aber mehr als ein bisschen Öko. Er will auch Lebensqualität - und strebt deswegen nur ein begrenztes Wachstum an. »Ich werde nicht mehr als fünfzig Leute beschäftigen«, sagt er, mehr würden ihm das Familiäre und damit den Spaß an der Arbeit nehmen. Beyer ist kein Theoretiker, sondern ein Macher, und so ist für ihn Qualität bei der Arbeit etwas sehr Konkretes: »Es ist doch schöner, bei Tageslicht zu arbeiten und die anderen zu sehen, deswegen habe ich überall Fenster eingebaut, auch wenn ich das gar nicht musste.«

Schon wieder Fenster als Beleg für eine andere Ökonomie? Loske lächelt bei der Frage, später auf der Fahrt zurück in sein Büro. Er hält dagegen: »Wäre nicht schon vieles im Lande besser, wenn alle Unternehmer sich auch an ihrem Umgang mit der Ökologie und dem Sozialem messen würden?« Und dann sagt er noch: Die Leute, die Realitätssinn mit Idealismus verbänden, die seien ihm sowieso die liebsten.

Erschienen in der ZEIT, Hamburg am 30.12.2010 VON PETRA PINZLER.